A. Terminus Der Terminus motet (lat. motetus) dürfte als Diminutiv des altfranzösischen Wortes mot (Wort, Vers, Strophe) entstanden sein. Er wird erstmals im Verlauf des 13. Jh. greifbar, wo er u. a. in volkssprachlichen romans und Pastourellen als Synonym für refrain gebraucht wird, was auf eine Verbindung der Gattung mit den volkssprachlichen Liedformen verweist. In seiner ab der Jahrhundertmitte bei Pariser Theoretikern der musica mensurabilis in Erscheinung tretenden lateinischen Form bezeichnet der Terminus eine Gattung der Mehrstimmigkeit, in der zu einem cantus prius factus (tenor) eine neu komponierte, textierte Stimme – eben ein motetus – hinzutritt (vgl. etwa Coussemakers Anonymus VII, in: CS I, S. 379). Zu diesem Stimmenpaar kann gegebenenfalls noch eine dritte (triplum) oder eine vierte (quadruplum) Stimme treten. Franco von Köln (wohl 3. Viertel des 13. Jh.) hält die Mehrtextigkeit (»cum diversis litteris«) für das entscheidende Merkmal der von ihm als eine Unterart des discantus klassifizierten Motette (Ars cantus mensurabilis, CSM 18, hrsg. von G. Reaney und A. Gilles, o.O. 1974, S. 69). Bei Johannes de Grocheio (um 1300) erscheint die Motette erstmals als eigenständige Gattung: »Motetus […] est cantus ex pluribus compositus, habens...