I. Allgemeines1. Terminologischesa. BegriffsbestimmungDer Terminus Lied entzieht sich aufgrund seiner Doppelbedeutung auf sprachlicher (bzw. literarischer) und musikalischer Ebene sowie aufgrund des historisch wechselnden Verständnisses einer exakten Festlegung. Zwar ist nach allgemeiner Einschätzung die sprachlich-musikalische Einheit für den Terminus konstitutiv, jedoch zeigt die ausgedehnte Verwendung in beiden Bereichen, daß sich die Komponenten trennen lassen, ohne daß dies notwendigerweise zur Aufhebung des Begriffssinns führt. Ein Lied kann einerseits, obwohl auf eine Vertonung abzielend, als bloßes Gedicht, andererseits eine Liedmelodie oder gar ein ausgearbeiteter Liedsatz – sei es als eigenständige Instrumentalform (Lied ohne Worte →Charakterstück), sei es als instrumentale Transkription eines originalen Liedes – ohne Textvortrag rezipiert werden. Historisch gesehen widerspricht ohnehin die Praxis von Parodie bzw. Kontrafaktur der Vorstellung einer unauflöslichen Verbindung zwischen Text und Musik. Auffassungen im engeren und weiteren Sinne wechselten im geschichtlichen Verlauf ständig, wobei nicht nur die Bezeichnung Lied auf verwandte oder benachbarte Gebiete ausgedehnt, sondern umgekehrt auch zeitweise Lied durch andere Termini ersetzt und verdrängt wurde. So folgte dem im wesentlichen auf das Strophenlied eingeschränkten Verständnis im ausgehenden 18. Jh. eine Erweiterung auf durchkomponierte Formen im Laufe des 19. Jh....