I. Definition Als Tropen bezeichnet man in der Geschichte der Musik und der Dichtung des lateinischen Mittelalters die Produkte einer in ganz Europa verbreiteten Praxis, die in ihrem Bestand und ihrer Gestalt festgelegten Gesänge des römischen Ritus durch freiformulierte und wechselnde Zusätze verschiedener Art textlich und melodisch zu erweitern, ohne dabei den erweiterten Gesang selbst zu verändern. Damit übernimmt der wissenschaftliche Sprachgebrauch die häufigste und am wenigsten spezifische aus einer Mehrzahl mittelalterlicher Benennungen derartiger Gebilde (E. Odelman 1975). Dieser gegenüber seinem mittelalterlichen Bedeutungsumfang auf alle nachträgliche Hinzufügungen zu vorliegenden Gesängen erweiterte Tropusbegriff (R. Crocker 1966) bezieht sich nicht auf eine mittelalterliche Gattungskonzeption (R. Jacobsson / L. Treitler 1986). Vielmehr umfaßt er eine Vielfalt ihrer Beschaffenheit und Verfahrensweise, ihrer Verwendung und Wirkung, ihrer Geschichte und anscheinend auch ihrem Ursprung nach unterschiedlicher Formen, bestehende Gesänge in neue Kontexte zu stellen, zu erweitern, zu bereichern oder zu erneuern: rein melodische Zusätze (→Melisma), Textdichtungen auf bestehende Melismen sowie vorangestellte, eingeschobene oder angehängte Zusatztexte (in Prosa wie in Form von Versen) mit eigenen Melodien, die sich an den bestehenden Gesang anschließen, seinen Ablauf unterbrechen, ihn überformen und sich mit ihm zu immer neuen Komplexen liturgischer Musik verbinden....