I. Einleitung 1. Allgemeines, Terminologisches Was Neue Musik sei, läßt sich nicht terminologisch definieren, sondern nur begrifflich explizieren und historisch deuten. Da Prozesse der Innovation die europäische Musikgeschichte seit dem Aufkommen mehrstimmiger Komposition vor bald einem Jahrtausend in vielfältigster Weise bestimmt haben (H. H. Eggebrecht 1961, K. von Fischer 1961, H.-P. Reinecke 1969, C. Dahlhaus 1978, S. 29-39; A. Riethmüller 1989), zeugte es von Geschichtsvergessenheit, nähme man an, die Neue Musik des 20. Jh., die Gegenstand dieses Artikels ist, sei in allen Punkten von grundsätzlicher anderer Art als die Kräfte, die in dieser Hinsicht frühere Phasen der Musikhistorie bestimmt hatten. Man könnte im Gegenteil versucht sein zu zeigen, daß die meisten Faktoren, die für Neue Musik geltend gemacht werden – terminologischer Neuansatz, kompositorische Neuerung, Schaffung einer neuen Institution, Herausbildung einer neuen Gattung, Bestimmung einer bisher unbekannten Funktion, Entgrenzung eines bestehenden Musikbegriffs, Beteiligung des Publikums, Entfaltung von Reflexionsstrukturen, Einführung neuer Spiel- und Gesangsweisen und vieles andere mehr – , auch schon früher, wenngleich nicht in derselben Qualität, Dichte und Konfiguration, im Spiel gewesen sind. Mit solchen Erwägungen, sollten sie auf die Trivialität hinauslaufen, daß jedes historische Phänomen seine ›Vorläufer...