I. Problemstellung und Forschungsstand Die Textunterlegung gehört zu den prinzipiellen Aufgaben jedes Editors von textierter Vokalmusik, da ein fundamentaler Aspekt derselben nicht nur ein korrekter Notentext und ein korrekter Verbaltext für sich genommen ist, sondern auch die korrekte, vom Komponisten intendierte Zuordnung des einen zum anderen. Eng verbunden mit der Textunterlegung als kodikologischem Problem, d. h. als sachgerechtes Entziffern und Umsetzen der Notation und der Schreibergewohnheiten, ist dabei immer die eher historisch-ästhetische Frage der ›korrekten‹ oder regelhaften Deklamation gewesen, d. h. der Frage nach den Prinzipien, nach denen die Komponisten selbst musikalischen Rhythmus und Prosodie des Textes miteinander koordinierten. Als problematisch und einer gesonderten Beschäftigung würdig ist dabei vor allem die Textunterlegung in der Musik vor ca. 1600 zu sehen: In der Zeit danach trugen einerseits die zur Regelhaftigkeit verfestigte Umsetzung der metrischen und deklamatorischen Eigenschaften der Textvorlage, andererseits die damit einhergehende immer eindeutiger werdende Korrelation zwischen Text und Musik in den Quellen selbst dazu bei, daß nur noch in Einzelfragen Klärungsbedarf besteht, z. B. bei der Unterlegung von Strophenliedern, in denen nur die erste Strophe mit der Musik notiert ist, oder in der Frage der Berechtigung von Korrekturen einer ›fehlerhaften‹ Deklamation bzw. Unterlegung. In...